Sunday, April 23, 2006

Der caveirão und die Straflosigkeit

Die Polizei tötet jährlich Hunderte in Rio de Janeiro. Die Ermittlungsstandards sind niedrig, und so enden die meisten Vorfälle mit Straflosigkeit für die beteiligten Polizisten. Die Polizei behauptet wiederholt, dass die Opfer Drogenhändler waren, die während einer „Konfrontation“ starben. Offiziell werden diese Vorfälle als autos de resistência (Belege des Widerstands) eingeordnet, eine allumfassende Kategorie, die die Anwendung legitimer Selbstverteidigung seitens der Polizei impliziert. Wieder und wieder haben Beweise auf außergerichtliche Exekution und die exzessive Anwendung von Gewalt hingewiesen. Basisorganisationen haben kürzlich begonnen, Vertuschungsaktionen der Polizei zu hinterfragen und Zeugen heranzuziehen, um die polizeiliche Version der Ereignisse anzufechten.

Mit dem caveirão ist es extrem schwierig geworden, Klagen gegen die Polizei anzustrengen. Obwohl ballistische Untersuchungen theoretisch in der Lage sein sollten, Kugeln bis zu individuellen Waffen zurückzuverfolgen, wird diese Methode praktisch nicht durchgeführt und Untersuchungen erfolgen selten. Die Anonymität, die die Polizei genießt, während sie aus dem caveirão heraus agiert, verschlimmert das Problem. Daher schießt die Polizei aus dem caveirão auf Gemeinschaften, ohne Angst vor Verfolgung zu haben. Anwohnern zufolge gab es in Verbindung mit dem caveirão elf Tote zwischen Mai und September des letzten Jahres in den Favelas von Manguinhos, Jacarezinho und Acarí – fünf davon an einem einzigen Tag. Trotz mehrerer Anschuldigungen wurde noch kein Polizeibeamter bezüglich eines Ereignisses in Verbindung mit dem caveirão angeklagt.

Der tragische Tod von Carlos Henrique

Der elf Jahre alte Carlos Henrique war klein für sein Alter und trotzdem ein verheißungsvoller Stürmer des Junior-Teams von Botafogo. Carlos, ein leidenschaftlicher Anhänger des Fußballteams in Rio, träumte davon, eines Tages professionell Fußball zu spielen und seiner Familie ein Leben außerhalb der Favela zu ermöglichen. Eines Sonntagabends im Juli 2005 ging Carlos Henrique mit seinem Vater zu einem Fest im Viertel Vila dos Pinheiros, in der Nähe vom Haus seiner Familie.
Als ein caveirão in die Favela fuhr, gingen Schüsse los und alle rannten, um sich zu verstecken. In der Nähe waren Kinder auf einem Riesenrad so verängstigt, dass sie beinahe sprangen. Carlos Henrique wurde von einer Kugel, die ihn in den Kopf traf, zu Boden gerissen. Verzweifelt nahm der Vater seinen Sohn auf den Arm und rannte los, um Hilfe zu bekommen. Erst da merkte er, dass auch er im Körper und am Hinterkopf getroffen worden war. Er brach mit seinem Sohn in den Armen zusammen.
Die Kugel hatte den oberen Teil des Kopfes des Jungen abgerissen, sein Vater jedoch überlebte und wurde schnell ins Krankenhaus gebracht. Währenddessen lag die Leiche von Carlos Henrique auf der Straße, bis sie am nächsten Morgen eingesammelt wurde. An diesem Nachmittag versammelten sich 300 wütende Anwohner zu seiner Beerdigung auf dem Friedhof von Caju.
“Ich will Gerechtigkeit. Das kann nicht so bleiben. Mein Sohn war kein Drogenhändler – er war ein Kind, ein Träumer“, sagte seine Mutter, die 30-jährige Renata Ribeiro Reis, auf der Beerdigung.